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Die Angst vor dem Sturz

Am 4. März ist es dann passiert: Frau Schmidt wacht gegen 4 Uhr morgens zum zweiten Mal mit Harndrang auf. Sie steht verschlafen auf und schlüpft in ihre Hauspantoffeln. Der Schein der Straßenlaternen beleuchtet die Wohnung schwach. Frau Schmidt schaltet deshalb kein Licht ein. Auf dem Rückweg von der Toilette möchte Frau Schmidt wieder schnell zurück ins warme Bett. Sie stolpert über die Teppichkante und fällt zu Boden. Frau Schmidt spürt einen stechenden Schmerz im Beckenbereich. Sie kann ihr rechtes Bein nicht mehr bewegen. Frau Schmidt kann zum Glück auf dem Boden bis zum Telefon robben und den Notarzt alarmieren, der 15 Minuten später eintrifft. Er vermutet, dass sich Frau Schmidt etwas gebrochen hat und weist sie deshalb in eine nahegelegene Klinik ein. Seine Vermutung bestätigt sich: es ist ein Oberschenkelhalsbruch. Frau Schmidt wird am nächsten Tag operiert.


Die Patientengeschichte beschreibt eine ganz typische Situation, in der es zu einem Sturz kommen kann. Die Reha wird für Frau Schmidt nicht einfach werden. Die lange Immobilisierung wird Funktionseinbußen und Mobilitätseinschränkungen zur Folge haben. Es wird eine Weile dauern, bis sie wieder sicher auf den Beinen ist. Doch nicht nur physische, auch psychosoziale Folgen gehen häufig mit einem Sturzereignis einher - es kann sich eine regelrechte Sturzangst entwickeln.

Ältere vermeiden häufig über ihre Sturzangst zu sprechen

In vielen Fällen ist es nicht einfach herauszufinden, ob jemand Angst hat zu stürzen, denn dieser Begriff wird von den Betroffenen oft vermieden. Spricht man das Problem direkt an, erhält man meist folgende Antworten: „Angst habe ich nicht, ich bin derzeit nur etwas wackelig auf den Beinen.“ Oft wird angegeben bei einigen Tätigkeiten momentan „sehr vorsichtig zu sein“.

Die psychischen Konsequenzen eines Sturzes können für manche Personen belastender sein als der Sturz an sich.(1) Ältere Leute empfinden einen Sturz als Zeichen für Schwäche und Gebrechlichkeit.(2) Familienmitglieder und andere Personen könnten denken, man komme alleine nicht mehr zurecht. Es besteht die Befürchtung die Selbstständigkeit zu verlieren und in ein Pflegeheim eingewiesen zu werden.(3)

Im Allgemeinen berichten etwa 30 % der selbstständig lebenden Älteren von Sturzangst.(4) Dabei muss nicht immer ein Sturz Auslöser für die Entwicklung einer Sturzangst sein. Auch Älteren, die noch keinen Sturz erlitten haben, können davon betroffen sein. Sturzangst kann dazu beitragen, dass man vorsichtiger wird und damit einen Sturz zu verhindern.(5) Die Angst stellt somit einen wichtigen Schutzmechanismus dar. Überschreitet sie jedoch ein bestimmtes Ausmaß, kann dies zu einem Teufelskreis führen: Aktivitäten werden eingeschränkt, es kommt zu einem Funktionsabbau und aufgrund dessen zu einer weiteren Vermeidung bestimmter Aktivitäten.(6)

Die sturzangstbedingte Vermeidung von Aktivität kann, ebenso wie die Sturzangst selbst, der Beginn eines Teufelskreis sein, der die Gesundheit und die Selbstständigkeit stark beeinträchtigen kann. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass Interventionen nicht nur die Reduktion der Sturzangst, sondern auch die Aktivierung zu körperlicher Aktivität verfolgen.

Keine Angst mehr vor dem Sturz – ein zusätzliches Therapieangebot des RBK Stuttgart

Die Stuttgarter Zeitung berichtete am 30. März darüber: Patienten mit einem sturzbedingten Becken- oder Oberschenkelhalsbruch erhalten in der Geriatrischen Rehabilitation am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart ein spezielles Angebot. Das Ziel der Studie ist es, die Betroffenen darin zu unterstützen, wieder selbstständig daheim leben zu können und ihnen die Angst vor einem erneuten Sturz zu nehmen.

Im Mittelpunkt stehen physiotherapeutische Verfahren in Kombination aus Elementen der kognitiven Verhaltenstherapie. Ein wesentliches Modul des Therapieangebots besteht darin, gemeinsam mit dem Patienten konkrete Ziele zu definieren und diese in Zwischenschritte zu unterteilen. Basierend auf diesen Zielen wird gemeinsam ein Übungsprogramm bestehend aus Kraft- und Gleichgewichtsübungen eingeübt, die der Patient zu Hause selbstständig durchführen soll. Durch regelmäßiges Training verbessert sich die Sicherheit im Alltag. Je konkreter und persönlich bedeutsamer die festgelegten Ziele sind, desto höher ist die Motivation.

Für die Nachhaltigkeit ist eine möglichst konkrete Trainingsplanung unabdingbar: Was brauche ich für das Training? Wo kann ich sicher trainieren? Was hält mich möglicherweise vom Training ab? Wie kann ich in diesem Fall dagegen vorgehen? An welchen Tagen, zu welchen Zeiten ist es besonders günstig zu trainieren? Nach Entlassung aus der Reha erfolgt die Nachbetreuung über Telefonate und einen Hausbesuch.

Auch Entspannungsübungen sind Bestandteil des Therapieangebotes, sie sollen helfen, das Angstlevel zu senken. Was im Falle eines Sturzes zu tun ist und wie man wieder aufstehen kann, wird gemeinsam besprochen und geübt. Auch hier gilt: Je konkreter die Situation vorher vor Augen geführt und besprochen wurde, desto leichter fällt die Umsetzung im Ernstfall.

Da sich die weitaus meisten Unfälle sich im häuslichen Umfeld ereignen, ist es darüber hinaus ratsam, sich über mögliche Stolperfallen Gedanken zu machen. Meist passiert der Sturz bei Verrichtungen, die man hunderte, wenn nicht tausend Male ausgeführt hat und dabei könnten Gefahrenstellen in der Wohnung schon mit geringem Aufwand behoben werden.

Literatur:
(1)     Cumming RG, Salkeld G, Thomas M, Szonyi G. Prospective study of the impact of fear of falling on activities of daily living, SF-36 scores, and nursing home admission. J Gerontol A Biol Sci Med Sci 2000; 55: M299-M305.
(2)     Yardley L, Smith H. A prospective study of the relationship between feared consequences of falling and avoidance of activity in community-living older people. Gerontologist 2002; 42: 17-23.
(3)     Tennstedt S, Howland J, Lachman M, Peterson E, Kasten L, Jette A. A randomized, controlled trial of a group intervention to reduce fear of falling and associated activity restriction in older adults. J Gerontol B Psychol Sci Soc Sci 1998; 53: 384-392.
(4)     Vellas B, Cayla F, Bocquet H, de PF, Albarede JL. Prospective study of restriction of activity in old people after falls. Age Ageing 1987; 16: 189-193.
(5)     Murphy SL, Williams CS, Gill TM. Characteristics associated with fear of falling and activity restriction in community-living older persons. J Am Geriatr Soc 2002; 50: 516-520.
(6)     Vellas BJ, Wayne SJ, Romero LJ, Baumgartner RN, Garry PJ. Fear of falling and restriction of mobility in elderly fallers. Age Ageing 1997; 26: 189-193.