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Frakturen im Pflegeheim vorbeugen

Höchstes Risiko nach Neuaufnahme – die ersten Wochen sind entscheidend

In den ersten Tagen und Wochen nach ihrer Aufnahme in das Pflegeheim ist für Heimbewohner das Risiko am höchsten, eine Hüftfraktur1 zu erleiden. Mit jedem Tag aber, den die Pflegebedürftigen im Heim wohnen, nimmt dieses Risiko wieder ab. Diese erstaunliche Tatsache ließ sich an Daten der AOK Baden-Württemberg beobachten. Besonders deutlich zeigt sich dieses Phänomen bei Frauen. Man muss sich klar machen, dass sich etwa ein Viertel aller Hüftfrakturen in den ersten drei Monaten des Aufenthalts im Pflegeheim ereignen.

Und noch eine bedeutende Erkenntnis ließ sich aus dem ausgewerteten Datensatz von Pflegeheimbewohnern gewinnen: auch die Pflegestufe, mit der jemand in das Heim aufgenommen wird, gibt einen wichtigen Hinweis auf die Gefahr einer Hüftfraktur; bei Pflegestufe 1 ist das Risiko am höchsten, bei Pflegestufe 3 dagegen am niedrigsten. Diese Beziehung gilt bei Frauen wie bei Männern gleichermaßen. Können diese Erkenntnisse uns helfen, den Frakturen in Pflegeheimen wirksam vorzubeugen?

Das Heim als unbekanntes Neuland


Bevor wir Maßnahmen ergreifen, sollten wir einen Blick auf mögliche und denkbare Ursachen werfen. Warum nun ist das Risiko gerade in den ersten Wochen nach Aufnahme so hoch? Hier könnten Probleme der Eingewöhnung und Orientierung in einer völlig neuen Umgebung nach oftmals langen Jahren in der vertrauten Atmosphäre des vorherigen Zuhauses eine Rolle spielen. Räumliche Verhältnisse sind noch unbekannt, notwendige Laufwege (z. B. zur Toilette) sind nicht vertraut, Licht- oder Klingelknöpfe werden nicht gefunden. Betten stehen in ungekannter Position, die Betthöhe ist neu und ungewohnt, verinnerlichte Hilfsgriffe fehlen.

Mit Umzug in das Pflegeheim wird dieses vertraute Land gegen ein herausforderndes Neuland eingetauscht, oftmals noch zu einem Zeitpunkt der Schwächung und Verunsicherung nach Krankenhausaufenthalt. Gehört ein neuer Bewohner/eine neue Bewohnerin dann dank einer niedrigen Pflegestufe auch noch zu den eher Mobilen, so sind sie grundsätzlich einer höheren Sturzgefahr ausgesetzt als Personen, welche durch höhere Pflegebedürftigkeit mehr an das Bett gebunden sind.

Was können wir tun?


In vielerlei Hinsicht sind die ersten Wochen Pflegebedürftiger im Heim bedeutend und verlangen dem Pflegepersonal erhöhte Aufmerksamkeit und Fürsorge ab. Nach den eben beschriebenen Umständen aber sollte die Sturzprävention hier ihren festen Platz einnehmen, um das besonders hohe Risiko der ersten Zeit nach Möglichkeit aufzufangen. Wie aber kann das geschehen? Wir empfehlen hier folgende Maßnahmen:

  • Dem Thema Sturzprävention unmittelbar nach Aufnahme ins Pflegeheim einen zentralen Stellenwert einräumen; d.h. Durchführung einer ersten Fallkonferenz innerhalb der ersten 48 Stunden nach Eintreffen der neuen Bewohnerin/ des neuen Bewohners. Die eingeleiteten Maßnahmen sollten dann
    in einer zweiten Fallkonferenz nach einer Woche überprüft werden.
  • Besonders gefährdeten Gruppen (mit Pflegestufe 1 und Stürzen in der Vergangenheit) das Tragen eines Hüftprotektors empfehlen und sie sofort mit Protektoren aus einem heimeigenen Pool anleiten, um die kritische Phase bis zur Anschaffung eigener Hüftprotektoren zu überbrücken.
  • Die Bettstellung und Betthöhe so gut wie möglich den alten Gewohnheiten der Bewohnerin / des Bewohners anpassen. Vielleicht lässt sich ja die vertraute Ein- und Ausstiegsseite auch im Pflegeheim ermöglichen? Hier gilt es auch zu bedenken, dass Schlaganfall- Patienten oft eine Seite klar bevorzugen
  • Den Weg zur Toilette und zur Tür möglichst direkt gestalten und von Hindernissen freihalten.
  • Das Aufstehen vom Bett in den ersten Tagen zusammen mit der neuen Bewohnerin üben. Hierbei lässt sich auch gut die optimale Betthöhe ermitteln, die sodann im Pflegebericht vermerkt werden sollte.
  • Zu Beginn des Aufenthaltes im neuen Umfeld ruhig öfter mal Begleitung, etwa zur Toilette, anbieten, die Nutzung von Licht- und Klingelknöpfen einüben und mögliche Gefahrenquellen erkennen.

Die geschilderten Ergebnisse machen deutlich, dass das Thema Sturzprävention zeitlich an den unmittelbaren Beginn des Heimaufenthalts gerückt werden muss.

1 Der Begriff ‚Hüftfraktur‘ ist eine Sammelbezeichnung für hüftnahe Knochenbrüche des Oberschenkels. Ein Beispiel hierfür ist z.B. die Schenkelhalsfraktur.

 

-kr- 

Kontakt

Anmerkung

Die Arbeitsgruppe von PD Dr. Clemens Becker, Geriatrische Rehabilitation am Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart, hat in zahlreichen Projekten Maßnahmen zur Sturzvermeidung in Pflegeheimen durchgeführt. Diese sind Grundlage des AOK Programms zur Sturzprävention in Pflegeheimen. Darüber hinaus forscht die Arbeitsgruppe zu Faktoren, die solche Stürze auslösen.